Ich hatte mich nach einer Überweisung von der Zahnärztin meines Vertrauens und dem ersten Termin mit dem relativ jungen, sympathischen Kieferchirurgen für die Extraktion aller 4 Weisheitszähne in einem Rutsch unter Vollnarkose entschieden. Bei mir waren die Weisis noch nicht durchgebrochen, hatten mich aber über Monate hinweg schon mit unangenehmen Druck- und resultierenden Kopfschmerzen auf ihre Anwesenheit hingewiesen. Nun hatte ich auch von vorneherein schon ein recht beengt aufgestelltes Zahnfeld und daher auch die Empfehlung bekommen, alle ziehen zu lassen um größere Schäden oder Fehlstellungen zu vermeiden.
Als Kind durfte ich mir sechs Milchzähne ziehen lassen, alle in der Hoffnung, den nachrückenden mehr Platz zu geben (Achtung Spoiler: brachte nicht wirklich was). Die Vollnarkose fand ich angenehmer für so eine Sitzung, auch wenn ich absolut keine Angst vor den weißen Kitteln und/oder ihrem Arbeitsplatz beziehungsweise ihrer Behandlung empfinde.
Der Tag der OP war heran, ich begab mich mit meiner Oma (designierte Fahrerin) in die Kieferchirurgie, füllte die notwendigen Zettelchen aus und wartete. Und wartete. Ich wartete eine Viertelstunde und der Anästhesist kam auf mich zu und sagte „Ach, Sie sind Frau B. ? Kommen Sie mit.“ Der Herr wirkte etwas angenervt. In Erwartung eines Aufklärungsgesprächs setzte ich mich in ein kleines Zimmer. Er schaute kurz über den Fragebogen, sagte mir wir würden gleich rübergehen, ich könne meine Tasche ruhig hierlassen und „Bar oder EC?“. Die Bezahlung für die ca. eine Stunde Vollnarkose aus den Händen des Vollprofis war mir vorher vom Chirurgen gesagt wurden (120€), er hatte jedoch vergessen zu erwähnen, dass ich vor der Operation gleich am besten in Bar zu zahlen hätte. Etwas mehr Fakten über mich:
1. Ausbildungsjahr
1. Ausbildungsmonat
1. Gehalt [noch ausstehend]
Panisch rief ich meine Oma an und fragte sie ob sie mir das Geld auslegen könne, die OP würde sonst flöten gehen. Oder ohne Sedierung stattfinden, weiß der Geier! Herr Anästhesist gab sich damit zufrieden dass meine Oma die 120€ nach der Weisheitszahnentfernung mitbringen würde. Glück gehabt.
Nun doch etwas aufgeregt stülpte ich in hygienischem Blau gehaltene Schutzduschhauben über Haar und Schuhe und wurde in den OP-Raum geführt. Der symphatische Chirurg (in voller Montur) begrüßte mich mit Colgate-strahlendem Gebiss – „Da ist ja unser Patient“ – und schüttelte mir die Hand. Ich wurde angewiesen mich auf den OP-Tisch zu legen, was ich auch prompt tat und den Arm für die Nadel hergab. Die Schwester konnte keine Vene finden. Das Spiel mit der geballten Faust begann. Schließlich legte sie mir die Flexüle (glaube zumindest dass es eine war) am Handgelenk. Die großen Scheinwerfer wurden angemacht, ein kleiner Kittel über mir ausgebreitet, es wurde mir über die Wange gestreichelt-
Ich starrte schon eine Weile an die Decke, bevor mir bewusst wurde, dass ich tatsächlich an eine Decke starrte. Alles kam mir etwas surreal in Watte gepackt vor. Kühlakkus auf beiden Seiten meines Kopfes, das war so ziemlich alles was ich konkret wahrnahm. Ich blieb ruhig liegen und fing an zu hyperventilieren.
Nun weiß ich ja dass ich Zeitspannen in diesem Zustand nicht wirklich objektiv erfahren konnte. Sagen wir also mal, ich lag fünf Minuten in dem geschmackvoll grau/kühlblau gestrichenem Aufwachzimmer, japste vor mich hin und weinte unbewußt ( was ja durchaus häufig vorkommen soll – das Weinen, nicht das Japsen).
Es ging mir eigentlich gar nicht so schlecht, ich hatte keine Schmerzen, die Wattebausche im Mund empfand ich auch noch nicht als störend, das Hyperventilieren und Weinen ging schmerzlos vonstatten. Eine Hand berührte mein Geicht, dann kam eine Krankenschwester in Sicht. Ich versuchte mich auf ihr respektives Gesicht zu konzentrieren, aber mein Blick driftete vorbei. „Frau B., was ist denn los, hm? Sehen Sie mich doppelt? Beruhigen Sie sich doch mal. Die OP ist schon vorbei!“ Ich japste als Antwort. Reden ging ja eher schlecht. Sie verschwand. Ich starrte an die Decke.
Der Anästhesist kam und streichelte mir über die Wange, unterhielt sich dabei mit der Krankenschwester. Ihn konnte ich schon besser ins Visier nehmen. Mittlerweile klemmte mir Frau K. einen Pulsmesser an den Zeigefinger. Ich versuchte mich aufzusetzten, wurde aber sofort wieder runtergedrückt: „Schön liegen bleiben! Und jetzt atmen wir mal etwas langsamer! Ihre Mama ist gleich da, die kommt grade rüber!“ Verwirrt betrachtete ich die Decke. Der Anästhesist verschwand, Frau Krankeschwester (oder vielleicht OP-Schwester?) übernahm das ehrenvolle Amt des Wangenstreichelns. Nicht dass es nicht angenehm war. Aber meine Mutter war vor einer Woche zu einem sechswöchigen Urlaub nach Thailand geflogen.
Meine Oma erzählte mir später das Herr A. sie mit den Worten:“Ja, sie ist etwas unruhig“ in das Aufwachzimmer geführt habe.
Meine Oma trat an die Stelle der Wangenstreichlerin und betrachtete mich abwägend. Mein Gesicht musste wohl schon ziemlich angeschwollen gewesen sein. Die Schnappatmung wurde davon auch nicht besser. Dazu drückte meine Blase unangenehm. „So geht das nicht.“ resultierte Frau Krankenschwester. Und: „Das Weinen ist ja normal, aber gegen die Atmung müssen wir etwas unternehmen.“ Vor meinem inneren Auge sah ich wie sie ein Kissen packte, es auf meine geschwollene Visage drückte und schrie „DIESE ATMUNG! MUSS! UNTERBUNDEN! WERDEN!“. Ich versuchte ein Lächeln. Die Beiden verzogen keine Miene. Ich glaube auch bei mir hatte sich kein Muskel bewegt.
Schlussendlich wurde mir etwas gespritzt und ich beruhigte mich. Nuschelnd versuchte ich nun klar zu machen, das ich auf Toilette müsse. Versuchen Sie mal „Toilette“ mit vier Wattebäuschen im Mund zu sagen. Ich wurde mehrere Male zunehmend ruppiger auf die Liege niedergedrückt bevor man mich verstand. Die Krankenschwester ließ mich und Oma allein. Oma setzte sich zu mir auf die Liege und wir baumelten zusammen mit den Beinen, um meinen Kreislauf etwas in Schwung zu bringen. Ich nahm das Aufwachzimmer in Augenschein. An der gegenüberliegenden Wand lag eine andere Patientin, schräg neben dem kleinen Raumtrenner der neben meinem Bett aufgestellt war, saß ein älterer Herr im Rollstuhl. Rechts war ein kleines Waschbecken mit kleinen Seife- und Desinfektionsspendern, am Ende meines Bettes vermutete ich die Tür zum OP-Raum. Wir alle hatten irgendeine Art Operation hinter uns. Ich fühlte mich ihnen im Leid verbunden. Zumindest bis der Senior anfing Blut zu spucken, welches kleine Pfützen auf dem Boden bildete. Super. Ich war ziemlich besorgt, stand auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Oma gab ihm ein paar Papierhandtücher, die er sich vor den Mund drückte während er gleichzeitig versuchte uns zu danken. Dann machte sie sich auf die Krankenschwester zu finden.
Mir fällt gerade auf wieviel ich schon geschrieben habe und um es kurz zu halten:
Der Mann im Rollstuhl wurde versorgt, ich durfte aufs Klo, meine Oma nahm meine Medikamente in Empfang und ab gings nach Hause. Ende gut, Alles gut!
Bis die örtliche Betäubung aufhörte zu wirken. Ich nahm in der ersten Woche aller drei Stunden Ibuflam, sowie aller acht Stunden Penicillin. In Pillenform konnte ich sie nicht schlucken, also zerstießen wir sie mit dem Mörser (ich war bei meiner Oma, die mich verhätschelte bis zum Abwinken). Bei mir war die linke Wange sehr viel heftiger geschwollen als die rechte, aber ich hatte trotzdem auf beiden Seiten ein Stück von den Mundwinkeln entfernt Blutergüsse. Schluckbeschwerden hatte ich bis ungefähr Donnerstag (Montag war meine OP). Kauen kann ich auch jetzt, am Samstag, noch nicht. Aber ich kann mit der Zunge etwas an den Nähten herumfühlen. Die gehen ungefähr vor bis zur Hälfte meines Kiefers, innen an meiner Wange? Unten jedenfalls. Ist das normal?
Ich habe drei Kilo abgenommen, aber wenn ich erst wieder zubeißen kann, wird sich kein Stück Fleisch vor mir verstecken können. Nächsten Montag werden die Fäden gezogen. Mal sehen wie das wird. Zähneputzen geht auch noch nicht. Stattdessen versuche ich die Mundhygiene mit Listerine aufrechtzuerhalten. Reden kann ich aber wieder und auch lachen geht einigermaßen!
Meine Zusammenfassung: Den speziellen Kieferchirurgen empfehle ich niemandem weiter und Zähne ziehen hatte ich jetzt genug für meinen Lebtag.