„Karies ist auf den Röntgenbildern nicht zu sehen, aber die Weisheitszähne müssen raus. Die drücken wie Buchstützen gegen die Zähne!“, so mein langjähriger Zahnarzt. Nun hatte es mich also auch erwischt. Was Weisheitszähne konkret sind/bewirken/ausmachen war mir nicht klar. Internet war noch nicht erfunden, die Informationsgestaltung daher schwierig.
Das es die Institution Weisheitszähne gab, wusste ich schon seit vielen Jahren. Das erste mal bin ich als sechsjähriger darüber gestolpert, als sich die Schwester von Meister Eder nach einer offensichtlich reichlich unangenehmen Weisheitszahnentfernung bei ihm und dem Pomuchel einquartierte. Über die Jahre kamen noch weitere Mosaiksteinchen hinzu, das Weisheitszähne keine sehr angenehme Sache sein können.
Und nun hatte es mich auch getroffen, gerade fünfzehn Jahre alt. Da die Zähne recht schwierig im Kiefer positioniert waren, wollte mein Zahnarzt das ganze nicht selber machen und überwies mich zu einem Kieferchirurgen nach Freising. Dort saß ich wenig später mit den Röntgenbildern in der Hand zur Vorbesprechung. „Eröffnete Nebenhöhle“, „Temporäre oder Permanente Schädigung des Kiefernerves“ – die Risiken und Nebenwirkungen waren lang und trugen nicht gerade zu meiner Begeisterung bei.
Man entschied sich für ein lokale Betäubung und zwei Sitzungen – jede Seite getrennt. Von einer Vollnarkose wurde von meiner Mutter Abstand genommen „sowas vermeidet man wenn möglich“. Auf einmal wollte der Kieferchirurg nicht alle Weisheitszähne entfernen, „das wäre ein zu große Viecherei“. Aha. Sehr vertrauensvolle Aussage.
Eine Woche später saß ich wieder auf dem Stuhl in Freising. Nun sollte es los gehen, und mir war mehr als mulmig. Bis dahin waren Zahnarztbesuche etc. kein besonderer Akt für mich gewesen. Dr. F – ein Hühne von Mann mit geschätzten zwei Metern Größe und entsprechenden Schultern – war im grünen OP-Kittel und Mundschutz noch beängstigender. Insgesamt wurden mir nun drei Spritzen in die Kiefer gejagt: oben und unten im hinteren Kieferbereich, als Krönung wurde noch ein Depot in den Gaumen gesetzt.
Es gab wenig, was in meinen Augen ähnlich schrecklich/unangehm war. Mit dem Fahrrad in voller Fahrt zu stürzen – das war auch das einzige was einen vergleichbaren Ansatz hatte. Innerlich merkte ich wie mir der Kreislauf langsam absackte. Doch dann ging es auch schon los und zur Sache. Zuerst wurde mit einem Skalpell die Mundschleimhaut eröffnet; anschließend mittels Fräse der Kiefer. Als sich der Chirurg bis zum Zahn vorgearbeitet hatte, stellte er fest, das er diesen zersägen müsse um ihn zu ziehen, da er so groß war, das die Wunde sonst unproportional groß werden würde.
Was mir in diesem Augenblick durch den Kopf ging ist nicht zur Wiedergabe in diesem Bericht geeignet. Nachdem noch einmal nachgespritzt wurde, wurde der Zahn zersägt. Ca. 10 Minuten später war es soweit, die Trümmer konnten entfernt werden. In diesem Moment fiel mir die gute alte Zahnfee wieder ein. Dieser Tag würde teuer werden. Ich erbat mir also die (blutige) Fragmente mit nach Hause zu nehmen, meinem Wunsch wurde auch entsprochen.
Mit Coolpacks ausgestattet wurde ich an meine Mutter übergeben – und meine erste Frage „ob es denn die Zahnfee noch gäbe“ wurde vom Arzt erst mit einem Stirnrunzeln – und als er schließlich meine Absicht erkannt hatte – mit schallendem Gelächter quittiert. Nachts hat die Zahnfee tatsächlich brav abgerechnet: ein ganzer Zahn und fünf Fragmente á fünf Mark. Ein gutes Geschäft.
Leider war der nächste Morgen weniger gut, über Nacht war meine Backe so angeschwollen das ich den Kiefer nicht weiter als einen Zentimeter aufmachen konnte. Da dies die Nahrungsaufnahme nicht gerade erleichtert, habe ich mich notgedrungen von Astronautennahrung und pürierten Nudeln ernährt. Aber die Schwellung ging kontinuierlich zurück; nach einer Woche konnte ich den Mund wieder weit genug öffnen um die Fäden ziehen zu lassen.
Die Vorstellung schon bald wieder zum Chirurgen um die andere Backenseite machen zu lassen, war aber alles andere als angenehm. Nichts desto trotz habe ich es durchgezogen und machen lassen. Allerdings hat sich durch das ganze Procedere in mir eine Zahnarzt- und Spritzenphobie manifestiert, die dazu geführt hat, das ich fast zwei Jahre keinen Zahnarzt aufgesucht habe. Das Phänomen beim Anblick von Spritzen umzufallen war mir bis dato auch nicht geläufig.
Die Entfernung der Weisheitszähne war per se nicht das Problem, aber das ganze Umfeld drum rum mit der lokalen Betäubung war der Horror schlechthin. Ich kann jedem nur dazu raten das ganze auf einmal und in Vollnarkose machen zu lassen. Dauert auch nicht länger und man bekommt von der ganzen Sache nichts mit….