Inhalt: Alle vier Weisheitszähne entfernen, lokale Betäubung
Mein persönlicher Höllentrip begann an einem Montag, als ich merkte, dass die Innenseite meiner linken Wange aufgescheuert war, der Unterkiefer merkwürdig schmerzte und ich den Mund auch kaum öffnen konnte. Notgedrungen ging ich also zum Zahnarzt und schilderte ihm mein Problem. Da bekannt war, dass meine Weisheitszähne irgendwann heraus müssen, wurde erst einmal ein Röntgenbild gemacht. Ich hatte schon Angst, dass es jetzt heißt, dass mir alle gezogen werden müssen, um das Problem lösen zu können. Und richtig genug: Der junge Zahnarzt kam schon beinahe händereibend in den Behandlungsraum zurück und verkündete mir, dass die unteren Weisheitszähne gegen die Backenzähne drücken und einer der oberen mir die Wange leicht wund gescheuert hatte. Fazit: Alle vier müssen raus.
Er überwies mich dann an einen Kieferorthopäden, einem „guten Partner der Zahnarztpraxis“, und verabschiedete sich von mir.
Ich war erst einmal ein wenig perplex. Keine Schmerzmittel, keine Antibiotika, kein gar nichts. Nur ein Überweisungszettel und eine Visitenkarte von dem Kieferorthopäden.
Ich war mit Schmerzen zum Arzt gegangen und ging mit den gleichen Schmerzen zurück. Meine Freude und die Hoffnung in Zahnärzte hielten sich in Grenzen.
Also rief ich erst einmal beim Orthopäden an und wollte einen Termin vereinbaren. Aber da wäre erst nächste Woche etwas frei. Vorerst hatte ich den Termin angenommen und dachte mir, dass ich schon mit meinen Schmerztabletten etwas bewirken könnte. Irgendwann geht der Mund ja bestimmt auch wieder auf.
Aber da lag ich falsch. Am Dienstagmorgen wurden die Schmerzen nur noch schlimmer, die Lymphknoten schwollen an und Reden wurde zur reinsten Folter. An Essen war nicht einmal zu denken. Also wieder beim Orthopäden anrufen und sagen, dass ich es vor Schmerzen nicht bis nächste Woche aushalte. Selbst die Assistentin konnte mich wegen meinem Genuschel kaum verstehen und sagte mir, dass ich morgen früh als Notfall in die Praxis kommen sollte.
Gesagt getan. Den Dienstag hatte ich irgendwie überlebt und am Mittwoch ging es sofort zum Orthopäden. Allein die Tatsache, dass er in einer sehr teuren Gegend seine Praxis hatte, ließ in mir die Hoffnung aufkommen, dass er gut war und sein Fach beherrschte. Als mich die Assistentin fragte, ob ich die Röntgenbilder mitbekommen hätte, musste ich verneinen, da die Zahnarztpraxis diese schicken wollte. Die Frau wirkte nicht begeistert und telefonierte erst einmal genervt herum, weil sie keine Bilder bekommen hatte.
Ich setzte mich einfach ins nobel eingerichtete Wartezimmer, denn helfen konnte ich ihr eh nicht, füllte den Anmeldebogen aus und wartete nur eine gute Stunde, bis ich in das Behandlungszimmer geführt wurde.
Der Arzt machte einen relativ entspannten Eindruck und sah sich erst meinen Mund an (soweit ich ihn eben öffnen konnte) und dann das Röntgenbild. Er war auch der Meinung, dass alle vier Zähne raus müssten, und zwar so schnell wie möglich. Aber mit der Entzündung ging das nicht, die musste ich erst mit Antibiotika behandeln.
Ich entschied mich dann für die lokale Betäubung, da mir der Dämmerschlaf viel zu teuer war und ich Narkosen mit meinem schwachen Kreislauf nie sonderlich gut wegstecke. Ich dachte mir: Ich beiße einfach mental die Zähne zusammen, wird schon nicht so schlimm werden. Sind ja nur Geräusche…
Er verschrieb mir für eine Woche Antibiotika, damit die Kieferklemme, die ich wegen der leichten Entzündung hatte, wieder verschwand, denn sonst konnte er nicht operieren. Und ich musste ihm Bescheid sagen, ob die Lymphknoten weiterhin angeschwollen blieben, da sonst während der OP Erstickungsgefahr drohte.
Die Woche bis zum Termin hatte ich dann relativ gut überstanden, schon nach wenigen Tagen konnte ich den Mund wieder problemlos öffnen und war froh, die erste Hürde hinter mich gebracht zu haben. Von Halsschmerzen war auch nichts zu spüren.
Aber ich habe in der Zeit den großen Fehler gemacht und mich im Internet dumm und dusselig gelesen. Artikel wie „Der Kiefer kann brechen“ oder „das entzündet sich total und dann muss operiert werden“ haben mir nicht sonderlich weitergeholfen, sondern nur noch mehr in Panik versetzt.
Am Mittwoch, dem 1. April, war mir dann gar nicht zum Lachen zumute, eher fiel mir auf, wie ironisch das Ganze war. Meine erste Zahn-OP in meinem Leben stand an. Und dann gleich vier Zähne. Im Nachhinein klang das doch nach einer ganzen Menge. Aber ich wollte ja das Geld sparen und jetzt musste ich da durch.
Ich hatte extra einen alten Pulli angezogen (was ich jedem nur empfehlen kann) und setzte mich mit meiner Begleitperson und einem kleinen Plüschhund ins Wartezimmer. Wie das Schicksal es so wollte hatte ich natürlich meine Kopfhörer vergessen. Aber mein Bruder hatte mir eh gesagt, dass die Musik vom Geräusch des Bohrers übertönt wird und es demnach nichts nützen würde.
Als ich dann aufgerufen und auf den Stuhl navigiert wurde, der für mich noch eingestellt wurde, begann ich heftig zu zittern. Ich hatte panische Angst vor der Spritze aber weniger vor dem Eingriff an sich, denn die Betäubung würde es mir ja schön schmerzfrei machen… Pustekuchen.
Der Arzt hatte die Spritzen gesetzt, die ziemlich unangenehm waren und verließ das Zimmer, damit die Betäubung wirken konnte. Schon nach wenigen Minuten konnte ich nicht mehr reden und als mich die Assistentin fragte, was sie mir alles verschreiben soll, konnte ich nur unverständliche Laute von mir geben. Sie hatte mich aber verstanden und verschrieb mir Ibu600 (die Packung wurde mein bester Freund in der Woche!) Als der Arzt zurückkam, seine drei Assistentinnen plus Praktikantin sich den Mundschutz übergezogen hatten und er anfing, den ersten Zahn zu ziehen, schloss ich erst einmal die Augen. Einfach an etwas Schönes denken, an das Ende dieser OP… Aber da merkte ich, dass die linke Seite erneut Probleme bereitete, denn die wurde einfach nicht taub. Und auch als er nach meinem hörbaren Schmerzenslauten nachgespritzt und währenddessen die komplette rechte Seite behandelt und genäht hatte, war auf der linken unteren Seite immer noch etwas zu spüren.
„Tja, jetzt müssen Sie da aber durch, der Zahn muss auch noch raus“, meinte er schulterzuckend und fing wieder an zu bohren, zu schneiden, zu brechen… es war die Hölle! Ich hatte noch nie solche Schmerzen im Mund. Ich hatte generell noch nie Probleme mit meinen Zähnen. Aber dann wusste ich, was so schlimm an einem Zahnarzt war! Das schrille, laute Bohrgeräusch, die Vibration im Kiefer, wenn er auf den Zahn traf und vor allem der heißkalte, blitzartige Schmerz, wenn er tiefer bohrt zusammen mit dem spürbaren Druck, wenn er den Zahn zog, waren schlimmer als alles, was ich erlebt hatte. Den Plüschhund zerquetschte ich während der Prozedur regelrecht in meiner Hand.
Nach 45 Minuten war es dann geschafft und sieben Zähne und Wurzeln lagen auf dem Tisch. Den linken unteren Zahn musste er in drei Teile zerlegen, weil die Wurzel so tief saß. Ich war noch nie so erledigt, bekam noch Tupfer in den Mund, zwei Kühlpacks in die Hand, die Zähne nett verpackt in meine Tasche (weil ich meine Eltern bei ihrem nächsten Besuch damit schocken wollte) und durfte nach einem Röntgenbild, dass sicherstellte, dass nichts kaputtgegangen ist und auch wirklich alles entfernt wurde, nach Hause.
Und da fingen die richtigen Probleme erst an. Ich saß noch bis zum Abend mit tauben Lippen und einem Eimer im Arm vor dem Fernseher und ließ den dunkelroten blutigen Sabber rauslaufen, weil ich ihn einfach nicht mehr schlucken konnte. Mir wurde unglaublich schlecht von dem vielen Blut und das soll schon was heißen! Gegessen hatte ich an dem Tag auch nichts, ich hatte einfach nichts runterbekommen und zu große Angst, dass die Nähte irgendwie aufreißen könnten.
Und so verging Tag 1… und auch wenn ich an Tag 2 keinen Eimer mehr brauchte, da es nicht mehr blutete, ging es mir vor Schmerzen noch das ganze Wochenende lang schlecht. Ich lag nur im Bett, schlürfte vorsichtig Suppe, die mir schnell zum Hals heraushing und verschlief den halben Tag. Nachts habe ich auf der Seite auf den Coolpacks geschlafen, das habe ich dann überhaupt nicht gemerkt.
Das größte Problem bei mir: Die linke Seite. Die schmerzt und pocht noch immer, auch nach 7 Tagen, und die Kieferklemme habe ich seit der OP auch schon wieder, die ich jedoch nur auf der linken Seite merke. Der Zahnarzt konnte zwar die Fäden ziehen, was wirklich nur ein wenig gepikst und nicht geschmerzt hatte, aber meinte, dass ich Freitag noch einmal kommen und bis dahin dringend den Kiefer trotz Schmerzen immer wieder weit öffnen muss. Ich hasse Kieferklemmen, die kollidieren mit meinem Heißhunger auf feste Nahrung!
Als Fazit kann ich sagen: Ich bin froh, dass ich alle vier Zähne auf einmal habe entfernen lassen. Ein zweites Mal hätte ich die Prozedur nicht mitgemacht. Lieber einmal das Theater und gut ist.
Und ich kann einige Tipps geben:
1. Zur OP einen alten Pulli anziehen. Bei mir hat es leider sehr geblutet und die Flecken gehen schwer raus. Lieber etwas Altes anziehen, das kann danach zur Not in den Müll.
2. Nicht jede Horrorgeschichte im Internet glauben. Ja, es tut weh, wenn die Betäubung nicht hilft, aber man kann den Eingriff locker überleben, auch ohne Musik. Das ist keine Schlachtbank!
3. Nicht nur dumm im Bett rumliegen wie ich. Das war ein Fehler von mir. Also natürlich sollte man sich ausruhen, aber auch üben, den Mund ein wenig zu öffnen und auch leicht zuzubeißen, damit die Kiefermuskulatur nicht einschläft. Eine Kieferklemme ist wirklich nichts Wünschenswertes!
4. Ich habe mir Rachen- und Gurgeltee geholt, das hilft ganz gut, falls sich etwas entzünden sollte. Aber am besten erst benutzen, wenn die Nähte gezogen sind oder den Arzt fragen, ob das auch vorher geht. Mir war das allerdings so früh zu riskant.
5. Kühlen! Tag und Nacht, immer und immer wieder. Am besten ein Paar im Kühlschrank oder Tiefkühlfach, ein Paar benutzen und dann wechseln. Je mehr man kühlt, desto weniger schwillt es an.
6. Die Ernährung: Mir haben Kartoffelbrei (zur Not auch das Instantzeug), Apfelmus, Rührei, Mandarinen und Suppe geholfen, nach einigen Tagen auch sehr weiches Brot wie Toast. Weiche Früchte wie Mandarinen aus der Dose und auch Rührei kann man gut mit der Zunge unter dem Gaumen zerdrücken und runterschlucken.
An Getränke kann ich Saft empfehlen, besonders Ananassaft, das lindert angeblich die Schwellung und bei mir hielt sie sich wirklich in Grenzen.
Auf kohlensäurehaltige Getränke würde ich verzichten, das schmerzt einfach nur an den Wunden. Und auf Milchprodukte vorerst auch verzichten oder sehr wenig davon essen, weil das Kalzium sich mit dem Antibiotika verbindet und dann nicht wirkt.
Auch wenn es wehtut, man kann es überleben. Man sollte einfach froh sein, dann nie wieder Probleme mit diesen bösen Weisheitszähnen zu haben, also Augen zu und durch. Der Schmerz ist nicht das schlimmste, sondern der Hunger 😉